Zum Fastenmonat Ramadan

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Im islamischen Sonnenkalender gibt es gesegnete Zeitabschnitte, die zum einen die Gnade Gottes gegenüber seinen Geschöpfen widerspiegeln und den Menschen in seiner Spiritualität aufs Neue erfüllen, zum anderen sind es Zeiten, die auch das soziale Leben der Menschen in besonderem Mass neu beleben und gestalten. 

Der Ramadan ist für die Muslime ein gesegneter Zeitabschnitt, den sie jedes Jahr mit neuen wohlwollenden Absichten erwarten. Verbunden mit dieser Erwartung ist auch die intensive Hinwendung an die Worte Gottes, die in diesem gesegneten Monat in Form des Korans dem Propheten Muhammed (Friede sei mit Ihm) vom Erzengel Gabriel überbracht wurden. So widmen sich die Gläubigen in dieser Zeit des Fastens noch intensiver als sonst dem Koran und dem Gebet.

Der Ramadan ist ein Wanderer durch das ganze Jahr (er kommt jedes Jahr um ungefähr 11 Tage früher) und ist einer der beiden alljährlichen spirituellen und gesellschaftlichen Höhepunkte im Leben der Muslime in aller Welt. Im Koran wird den Gläubigen, die das Pubertätsalter erreicht haben, vorgeschrieben, diesen Monat fastend zu verbringen, sofern sie nicht krank sind oder sich auf Reisen befinden. Von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang verzichten sie auf Wasser und Nahrung und zügeln ihren Charakter. 

Durch die Schule des Ramadans zu gehen, bedeutet nicht nur einfach zu hungern und zu dursten und seinem Körper fühlbar etwas Gutes zu tun. Nein, das Hungern soll einem Fastenden insbesondere neue Tore des Geistes und der Spiritualität eröffnen. Dabei sollen die Gläubigen sich von schlechtem Benehmen fernhalten, Geduld und Güte zeigen, Mitleid und Empathie entwickeln, sich innerlich sensibilisieren und reflektieren. Daneben sollen die Fastenden aber auch den Wert der einfachen Dinge und Gaben im Leben schätzen lernen. Denn die Fastenden wissen nach langen Stunden des Enthaltens ein Schlückchen Wasser besonders wertzuschätzen. Und sie wissen, wie gut und intensiv der erste Schluck Suppe oder Biss ins Brot sein kann. 

Ein Stück Heimat

Der Ramadan versprüht insbesondere für die in der Schweiz seit langem beheimateten Muslime, aber auch für neu hinzugezogene und geflüchtete Menschen ein Gefühl der spirituellen Heimat. So wie in der ursprünglichen Heimat vieler Muslime lebt und belebt der Ramadan auch hier unser gesellschaftliches Leben. Er fördert und intensiviert unser multikulturelles Miteinander, bringt Nachbarn, Freunde und Personen des öffentlichen Lebens an Fastenbrechen-Abenden oder anderen Veranstaltungen an einen Tisch (leider begrenzte Möglichkeiten während der Corona-Pandemie) und sorgt für einen herzlichen Dialog. Dieser Dialog wiederum färbt und tränkt unsere so vielfältige und bunte Gesellschaft mit Akzeptanz und Nächstenliebe und lässt ein friedfertiges und harmonisches Zusammenleben gedeihen.  

Heimat für die Bedürftigen

Daneben ist der Ramadan aber auch Heimat für die Hungernden, Heimatlosen und Leidenden dieser Welt. Der Ramadan ist ein Monat, der die Gläubigen in aller Welt zum Hungern und Dursten einlädt. Sie alle, ob reich oder arm, heimatlos oder beheimatet, sie alle finden sich zur selben Zeit ein und hungern und dursten gemeinsam. Und genau dieses aufblühende Gefühl der Solidarität bietet eine Chance, die von gesellschaftlicher Bedeutung ist. 

Insbesondere wir, denen es viel besser geht als dem Rest der Welt, sollen im Ramadan wachgerüttelt werden aus unserem manchmal blinden Konsumhunger, unserer verschwenderischen Lebensweise und unserem tatenlosen Zuschauen. Wir sollen derjenigen gendenken, die sich kein sauberes Wasser und keine nahrhafte Nahrung für ihre Neugeborenen leisten können und die bedauerlicherweise alle sechs Sekunden ein Kind aufgrund von Hunger, Krankheit oder Mangelernährung dem Tod zum Opfer bringen müssen. So streckt sich die barmherzige Hand des Ramadans über diese Menschen aus und schenkt ihnen das Mitgefühl und die Unterstützung der Fastenden, millionenfach und überall auf der Welt. Insbesondere im Monat Ramadan geben die Gläubigen die läuternde Pflichtabgabe (Zakat), ein Grundpfeiler des Islams, und weitere freiwillige Spenden. 

In diesem Sinne, wünschen wir, dass auch diese besinnliche Zeit des Fastens und der Einkehr zumindest einigen Wunden in unserer Welt heilen und unserer Gesellschaft neuen Leben einhauchen wird, sodass unsere Kinder – unsere Zukunft – ein harmonischeres Zusammenleben und friedlicheres Miteinander haben werden. 

Quelle: Zeitschrift Fontäne, Ausgabe Januar-März 2021.