Der einsame Ramadan: Eine Zeit des Verzichts geht zu Ende

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Heute Samstag endet der Fastenmonat Ramadan. Dieses Jahr waren gläubige Muslime weltweit besonders gefordert.

Der Countdown läuft. «Noch neun Minuten», sagt Hatice Temizel zu ihrem Mann Nusret. Das Paar sitzt auf der samtenen Polstergruppe im Wohnzimmer und schaut auf das Smartphone, auf dem eine App die Zeit bis zum Beginn des Fastenbrechens zählt. Beide tragen Jeans und blaue Hemden. Hatice hat sich ein olivgrünes Tuch um den Kopf geschlungen. «Die letzte Stunde vergeht meistens sehr langsam», sagt sie. Es ist Donnerstag, der drittletzte Abend des diesjährigen Fastenmonats Ramadan, den auch die muslimische Familie Temizel aus der Türkei praktiziert.

Der Tisch ist bereits gedeckt, verschiedene Salate sind in weissen Schalen angerichtet. Während des Wartens beisst der 6-jährige Sohn Hikmet unbekümmert in eine Nektarine. Kinder sind bis zur Pubertät vom Fasten ausgenommen, dasselbe gibt für Schwangere oder kranke Menschen.

Ramadan ist vor allem eine Zeit des Verzichts

Punkt 21:14 ertönt der Ruf des Muezzins aus dem Smartphone. Dann geht es auf einmal schnell. Sohn Hikmet und die 9-jährige Tochter Zeynep eilen zu Tisch und schon bald bringt Hatice Temizel Schalen mit Suppe aus getrockneten Tomaten und Gemüseauflauf aus der Küche. Seit sechzehn Stunden hat das Ehepaar heute nichts gegessen oder getrunken. Ramadan, eine der fünf Säulen des Islam, ist vor allem ein Monat des Verzichts. Von Sonnenauf– bis Sonnenuntergang wird gefastet. Mit der Dämmerung beginnt Iftar, das allabendliche Fastenbrechen. Es bildet den Gegenpol zu den ruhigen Tagen.

Dann werden Freunde und Verwandte zu Tisch geladen, teilen Essen und Neuigkeiten und feiern den Tag. Auch die Moscheen laufen in dieser Zeit auf Hochtouren; fünfmal täglich wird gebetet. Für jene, die lieber nicht zuhause essen, wird vor Ort ein Abendessen serviert. Doch dieses Jahr ist alles anders. Kurz vor Beginn des Fastenmonats wurden aufgrund des Coronavirus schweizweit alle Gotteshäuser geschlossen und Versammlungen von über fünf Personen verboten. Für die rund 13’000 Musliminnen und Muslime in Basel-Stadt bedeutete das vor allem eines: noch mehr Verzicht. «In anderen Jahren hatten wir an etwa 20 Tagen im Monat Gäste oder waren selber eingeladen», erzählt Hatice Temizel und reicht Datteln in die Runde. In diesem Jahr seien die Reporterin und der Fotograf die einzigen Gäste überhaupt. «Wir haben die Gesellschaft sehr vermisst», sagt Nusret Temizel in einwandfreiem Baseldeutsch. Der gebürtige Türke ist in der Schweiz aufgewachsen und engagiert sich im Vorstand des Ideal Kulturvereins, ein Verein für Dialog, Integration und Kultur. Vor drei Jahren wurde die Initiative lanciert, das Fastenbrechen für Nicht-Muslime zu öffnen, um ihnen die Kultur des Islam näher zu bringen. Interessierte konnten sich bei Familien zum Abendessen anmelden, auch die Temizels hatten regelmässig Gäste. Dieses Jahr fiel auch diese Aktion ins Wasser. Stattdessen haben die Vereinsmitglieder Essen an Asylheime und Wohngemeinschaften verteilt.

«Auch ein gläubiger Muslim braucht Motivation»

Für Nusret Temizel ist die Gemeinschaft während des Ramadans ein wichtiger Ansporn. «Auch ein gläubiger Muslim braucht Motivation», sagt er. «Alles fällt leichter in Gemeinschaft.» Zum Beispiel das Beten oder das Lesen des Korans. Während des Ramadans wird der Koran einmal komplett durchgelesen, 600 Seiten in einem Monat. «Diese Aktion haben wir online durchgeführt», erzählt Hatice Temizel. Etwas über zehn Familien haben sich vor dem Bildschirm versammelt und über Zoom den Vorleserinnen gelauscht, während jeder für sich zuhause der Schrift folgte. Doch nicht alles war schwerer in diesem Monat. «Das Fasten an sich fiel durch die Isolation etwas leichter», ist sich das Ehepaar einig.

Normalerweise, erzählt Nusret, müsse er sich bei der Arbeit jedes Jahr aufs Neue erklären, warum er nichts esse und trinke. «Dieses Jahr fiel es gar niemandem auf.» Man habe den Ramadan eben «mehr in sich gelebt». Genau darum gehe es schliesslich: sich auf das Wesentliche zu besinnen. «Das Fasten gibt mir viel Ruhe und Kraft», sagt Hatice. «Ich bin sogar immer etwas wehmütig, wenn der Monat vorbei ist.» Heute ist der letzte Fastentag, am Sonntag beginnt das dreitägige Fest des Fastenbrechens. Es zählt zu den wichtigsten muslimischen Feiertagen. Auch dieses Fest wird jede Familie für sich und zurückgezogen feiern müssen. Denn erst in einer Woche werden die Türen der Moscheen wieder öffnen.

Source : https://www.bzbasel.ch/